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Oliver Ressler / Anna Liv Ahlstrand 01/2004
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Anna Liv Ahlstrand: Als welche Art von politischen Akteur siehst du dich? Siehst du dich als Aktivisten und deine Tätigkeit als eine Form von künstlerischen Aktivismus?

Oliver Ressler: In einem gewissen Sinn sind alle meine Projekte politisch. Sie werden in öffentlichen Räumen realisiert, als themenspezifische Installationen in Ausstellungen oder als Videos. Zieht man diese verschiedenen Formate in Betracht, ist es klar, dass die Projekte auf unterschiedliche Weise funktionieren, dass sie für verschiedene Öffentlichkeiten realisiert werden und dass sie unterschiedliche Reaktionen auslösen. Einige meiner Arbeiten weisen einen sehr direkten Bezug zu Aktivismus auf, zum Beispiel das Video „This is what democracy looks like!“ (38 Min., 2002), welches ich als Teilnehmer einer Anti-Globalisierungsdemonstration realisiert habe, oder das Video „Disobbedienti“ (54 Min., 2002) über diese aktivistische Bewegung in Italien. Andere Projekte hingegen weisen keinen Bezug zu Aktivismus auf. Ich bezeichne mich daher als Künstler und nicht als Aktivist, da ich ein Künstler bin, der einen Teil seiner Arbeit in Verbindung zu Aktivismus stellt, und kein Aktivist mit einem Hintergrund als Künstler.

A.A.: Warum hast du dich entschieden, Machtstrukturen in der Ökonomie zu fokussieren? In welcher Verbindung steht das Project „Alternative Economics, Alternative Societies“ zu deiner früheren Arbeit?

O.R.: Mein erstes Projekt, das einen deutlichen Bezug zu Ökonomie aufwies, war eine Serie von Ausstellungen mit dem Titel „The global 500“, die erstmals 1999 realisiert wurde. Das Projekt basierte auf einer Recherche über die Protagonisten der ökonomischen Globalisierung, die 500 größten transnationalen Konzerne. Diese Arbeit könnte als eine Analyse und Kritik der hegemonialen Ökonomie beschrieben werden, die in einer Ausstellung artikuliert wurde. In späteren Arbeiten habe ich Praxen des Widerstandes gegen den Kapitalismus fokussiert und die beiden erwähnten Videos realisiert. Von dem Punkt aus ergab sich innerhalb meiner künstlerischen Praxis der nächste logische Schritt, sich auf Konzepte und Modelle für Alternativen zu konzentrieren, deren Gemeinsamkeit eine Zurückweisung des kapitalistischen Herrschaftssystems ist. Dieser Themenbereich zeichnet sich vor allem durch seine Abwesenheit in so vielen theoretischen Beschreibungen der kapitalistischen Ökonomie aus, was es für mich noch spannender machte, selber eine Recherche über Alternativen zu initiieren – die in dem fortlaufenden, permanent ergänzten Ausstellungsprojekt „Alternative Economics, Alternative Societies“ veröffentlicht wird. In einer Zeit, in der der neoliberale Slogan „there is no alternative“ immer noch tonangebend ist, ist es meiner Meinung nach absolut notwendig, sich mit Alternativen zu beschäftigen.

A.A.: Was sind deine eigenen Vorstellungen von Demokratie und alternativen Ökonomien und Gesellschaften? Wie siehst du die Potenziale für soziale Veränderung und die Entwicklung der Machtstrukturen in der Gesellschaft?

O.R.: Für mich gibt es ein paar grundlegende Prinzipien, die in einer idealen zukünftigen Gesellschaft erfüllt sein müssten: Es sollte eine wirkliche, direkte Demokratie sein und nicht so eine Fake-Demokratie, in der wir heute zu leben gezwungen sind. Die Grundbedürfnisse eines jeden Menschen müssen erfüllt werden, zum Beispiel durch ein Existenzgeld. Unternehmen sollten durch Selbstverwaltung durch die in den Unternehmen arbeitenden Menschen gemeinsam organisiert werden. Die Herrschaftsstrukturen des Staates und des privaten Kapitals müssen abgewickelt werden. Ich bin nicht sicher, wie eine auf solchen Prinzipien basierende Gesellschaft am besten erreicht und organisiert werden könnte... Ich fühle mich sehr zum zapatistischen Konzept des „fragenden Laufens“ („preguntando caminamos“) hingezogen. Dieses hinterfragt die eigene Praxis, während ein nicht von vorneherein feststehender Weg gebahnt wird. Dieses Prinzip spiegelt auch den konzeptionellen Rahmen wider, in dem „Alternative Economics, Alternative Societies“ realisiert wird, da das Projekt auf einer voranschreitenden Recherche basiert und kontinuierlich weiterentwickelt wird, ohne dass zum jetzigen Zeitpunkt klar ist, wohin dieser Weg führen wird.

A.A.: Was sind deine Ziele und Intentionen mit diesem Projekt? Wie könnte es sich weiterentwickeln? Kannst du heute noch an Utopie glauben?

O.R.: Die Intention des Projekts ist es, Menschen Ideen zur Verfügung zu stellen, auf denen eine bessere Gesellschaft als die heute existierende basieren könnte. So eine Gesellschaft sollte nicht durch eine Art Masterplan erreicht werden, den sich eine kleine Elite ausgedacht hat. Sie sollte sich auf Grundlage eines umfassenden Prozesses entwickeln, der auf breit angelegten Dialogen basiert und so viele Menschen wie möglich involviert. Es sollte sich um offene, transparente Entscheidungsfindungsprozesse von Unten handeln. In einem der Videos, die ich für „Alternative Economics, Alternative Societies“ realisiert habe, weist der deutsche Autor Christoph Spehr darauf hin, dass utopisches Denken heute nichts in dem Sinne vorschreiben darf, dass es diktiert, was zu tun wäre. Ich halte das für einen sehr wichtigen Aspekt, eine Gesellschaft entlang von Linien zu entwickeln versuchen, die nicht von vorneherein festgelegt sind. Man kann so eine Gesellschaft natürlich als utopisch bezeichnen, aber sie wäre sehr verschieden von den Formen von Utopien, die wir in der Vergangenheit kennengelernt haben.
Im Rahmen von „Alternative Economics, Alternative Societies“ werden theoretische Konzepte von alternativen Ökonomien und Gesellschaften, historische Modelle, die es wert sind, näher angesehen zu werden, und auch eher utopische Ansätze oder sogar Beispiele aus der Literatur als 20 bis 37 Minuten lange Videos präsentiert. Für die Zukunft wäre ich daran interessiert, diesen Pool an Videos durch Beispiele von alternativen Modellen zu erweitern, die es im Moment z. B. in bestimmten Regionen in Südamerika gibt. Einige der Videos des Projekts skizzieren auch Strategien und Ideen für einen Übergang, wie ausgehend von dieser Gesellschaft eine andere erreicht werden könnte.

A.A.: Wie willst du deine BetrachterInnen positionieren?

O.R.: In der Regel gehen BesucherInnen der Ausstellung „Alternative Economics, Alternative Societies“ zuerst einmal im Ausstellungsraum umher und lesen die aus Klebefolien produzierten Bodenbeschriftungen. Diese Texte sind Zitate aus den Videos, die auf getrennten Monitoren in verschiedenen Bereichen des Ausstellungsraumes gezeigt werden. Die Videos werden nicht-hierarchisch gegliedert in der Ausstellung gezeigt, und die einige Meter langen Bodenbeschriftungen führen den Besucher oder die Besucherin direkt zu jenem Video, aus dem das Zitat stammt. So beginnt diese Person normalerweise damit, jenes Video anzusehen, von dem er oder sie nach dem Lesen des Zitats denkt, dass es interessant sein könnte. Einige Leute bleiben über zwei Stunden in der Ausstellung und sehen sich alle Videos an. Andere schauen mal zehn Minuten von einem Video an und ein paar Minuten von einem anderen und suchen sich jene Ideen heraus, die für sie interessant sind, denken darüber nach, sprechen eventuell mit anderen Menschen in der Ausstellung, kombinieren verschiedene Ideen miteinander oder vielleicht mit Vorstellungen, die sie bereits vor dem Besuch der Ausstellung hatten.

A.A.: Wo kann Kunst effektiv sein? Glaubst du wirklich, dass politische Kunst das Potential hat, die gesellschaftliche Debatte oder das politische System zu ändern?

O.R.: Die Diskussion über gesellschaftliche und ökonomische Alternativen ist nicht nur durch die dominierenden Medien marginalisiert, sondern auch durch die linken Oppositionen in den Parlamenten, die Mehrheit der NGOs, die meisten TheoretikerInnen und PhilosophInnen und sogar von großen Teilen der Anti-Globalisierungsbewegung. Heutzutage weiß fast jeder um die katastrophalen Auswirkungen des Kapitalismus, dass er für Millionen Menschen im Süden jedes Jahr den Tod bedeutet, aber dennoch mühen wir uns ab, um irgendwie in diesem System zu überleben, um kleine Vorteile zu erreichen. Durch diese Aktivitäten halten wir das System jedoch am Leben – weil Perspektiven für Alternativen nicht wirklich bekannt und wahrgenommen werden. Mit dieser Arbeit unternehme ich ein paar kleine Schritte. Ich recherchiere Modelle zu ökonomischen und gesellschaftlichen Alternativen und veröffentliche diese Recherche durch die Videos, die ich realisiere und die im Rahmen der sich weiterentwickelnden Ausstellungsserie zu jenem Pool an Informationen hinzugefügt werden. Ich nutze den Raum der Kunst, um diese Recherche und die Informationen für einige Menschen zugänglich zu machen, weil ich das Gefühl habe, dass Kunst einer der wenigen verbliebenen Bereiche ist, in denen es noch möglich ist, kritische Themen anzusprechen und sich mit diesen zu beschäftigen. Sehr oft wird ja Kunst selber als eine Form utopischen Denkens angesehen. Aber nur wenige KünstlerInnen widmen ihre Arbeit politischen, sozialen und ökonomischen utopischen Ansätzen, was meiner Meinung nach heute von großer Bedeutung wäre. Ich mache einfach ein paar Schritte, und hoffe, einigen Leuten durch diese Arbeit Anregungen geben zu können.

A.A.: Meinst du, dass es möglich ist, die ökonomische Realität zu ändern?

O.R.: Ansätze, die ökonomische Realität zu ändern, kann man auch heute schon beobachten. Nach dem Zusammenbruch der neoliberalen Ökonomie in Argentinien haben große Teile der argentinischen Bevölkerung versucht, die bestehenden politischen Verhältnisse umzuwerfen. Nachbarschaftsversammlungen wurden organisiert, in großen Gruppen „proletarisches Einkaufen“ praktiziert, Fabriken und Unternehmen besetzt, kollektiviert und von den ArbeiterInnen selber verwaltet. Zur Zeit gibt es eine sehr interessante Situation in Venezuela, wo die amtierende, linksgerichtete Regierung einen Prozess der Demokratisierung der Wirtschaft und der ganzen Gesellschaft unterstützt. Natürlich werden solche Tendenzen mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Es gibt Boykotte und die USA haben sogar einen Putsch der rechten Opposition in Venezuela gegen die demokratisch gewählte Regierung unterstützt. Aber zumindest sehen wir, dass Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus möglich sind, und zur gleichen Zeit sehen wir, dass diese vom globalen Kapital, von den europäischen Staaten, von den USA, unterdrückt werden. Daher ist es extrem wichtig, dass die radikalen politischen Oppositionen in den Zentren des Kapitalismus die politischen Eliten stärker unter Druck setzen. Wenn über einen Zeitraum mehrerer Jahre so ein Prozess des Widerstandes Erfolg hat, könnte eine Änderung der ökonomischen Realitäten zumindest wieder vorstellbar werden.

A.A.: Glaubst du, dass Kunst als eine vermittelnde und kreative Kraft die Gesellschaft und Menschen ändern kann?

O.R.: Klar, das kann manchmal schon funktionieren. Kunst kann ein sehr wichtiges Mittel in bestimmten Situationen darstellen. Erinnere dich z. B. an die Posterkampagnen der KünstlerInnen(kollektive), die im Rahmen der Act-up Bewegung in den 80er Jahren in den USA realisiert wurden. Diese haben das öffentliche Bewusstsein für die AIDS-Epidemie verschärft und Druck auf die konservative US-Administration ausgeübt, ihre Politik der Ignoranz gegenüber der AIDS-Krise aufzugeben. Aber Act-up ist auch ein Beispiel dafür, dass Kunst vor allem in Zusammenarbeit mit anderen sozialen Gruppen Erfolg hat und größeren Einfluss gewinnen kann. In vielen dieser gesellschaftlich motivierten Zusammenschlüsse verringert sich auch die Notwendigkeit, die Aktivitäten als „Kunst“ zu definieren. Menschen aus unterschiedlichen Feldern verbringen einfach ihre Zeit miteinander und arbeiten für ein gemeinsames Anliegen.

A.A.: Könnte ein Risiko darin bestehen, dass man an Schlagkraft verliert, wenn man mit Kunst agiert?

O.R.: In unserer Gesellschaft dominiert eine Art von Kunst, welche in ihren interessanteren Ausformungen durch ihre Struktur und versteckten Referenzen schwierig zu verstehen ist, und in den schlechteren Fällen versucht, Bedürfnisse nach Schönheit und Unterhaltung zu befriedigen, oder einfach als Repräsentationssymbol für die Machthaber fungiert. Es ist ziemlich klar, dass diese Funktionen einen großen Einfluss auf das vorherrschende Bild von „Kunst“ haben. Aber der Begriff „Kunst“ wird auch für einen viel kleineren Prozentsatz jener Kunstpraxen verwendet, die politische und gesellschaftliche Bereiche thematisieren und in diesen intervenieren und wenig mit den Statussymbolen einer reichen, selbst ernannten Elite zu tun haben. In so einer Situation kann es aus strategischen Gründen sehr wichtig sein, die Tatsache, dass politisch engagierte Kunst auch Kunst ist, deutlich hervorzuheben, um die Definitionsmacht dessen, was als Kunst gesehen wird, nicht den kommerziellen Galerien und dem Kunstmark zu überlassen. Die letzten zwei Documentas waren auch deshalb sehr wichtig, da sie für ein großes Publikum politische Kunst als „Kunst“ präsentierten.
Die Strategien in meiner Arbeit unterscheiden sich von Projekt zu Projekt, weil jedes eine spezifische Strategie verfolgt. Ich bin am Transfer von Themen vom realpolitischen Raum in den symbolpolitischen Raum interessiert, und vielleicht dann wieder zurück. Wenn man auf diese Weise an themenspezifischen Projekten arbeitet, ist es meiner Meinung nach extrem wichtig, die Projekte auf eine Art zu realisieren, dass sie nicht nur von ExpertInnen für zeitgenössische Kunst gelesen und verstanden werden können, sondern auch von einem breiteren Publikum, um den isolationistischen Tendenzen des Kunstfeldes entgegenzuwirken. Aber es hängt vom Kontext ab: Während es im einen Kontext wichtig sein könnte hervorzuheben, dass meine Arbeit Kunst ist, kann das in einem anderen Kontext, z. B. wenn ich Arbeiten für öffentliche Innenstadträume realisiere, notwendig sein, Kunst zu realisieren, die auch unter der Voraussetzung funktioniert, dass Menschen sich nicht über die Tatsache bewusst sind, dass das, was sie sehen, Kunst ist.

Deutsche Übersetzung eines Interviews, das Anna Liv Ahlstrand für die schwedische Zeitschrift Hjärnstorm auf englisch geführt hat.
Weitere Informationen über Oliver Resslers Projekte: www.ressler.at

 

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