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05 2003

Kampf, Ereignis, Medien

Maurizio Lazzarato

Übersetzt von Karoline Feyertag

Warum kann das Paradigma der Repräsentation weder in der Politik funktionieren noch in den künstlerischen Ausdrucksweisen, und hier insbesondere in der Produktion von Werken, die bewegte Bilder einsetzen?

Ich werde versuchen, auf diese Frage zu antworten, indem ich jenes Paradigma zur Anwendung bringe, das die Konstitution der Welt vom Verhältnis zwischen Ereignis und Mannigfaltigkeit her denkt. Die Repräsentation ist im Gegenteil auf das Paradigma Subjekt – Arbeit gegründet. In diesem Paradigma haben die Bilder, die Zeichen und die Aussagen die Funktion, das Objekt, die Welt zu repräsentieren, während im Paradigma des Ereignisses die Bilder, Zeichen und Aussagen dazu beitragen, die Welt sich ereignen zu lassen. Bilder, Zeichen und Aussagen repräsentieren nicht irgendetwas, sondern schaffen mögliche Welten. Ich möchte dieses Paradigma des Ereignisses ausgehend von zwei konkreten Beispielen erklären: der Dynamik des Auftauchens und der Konstituierung von post-sozialistischen politischen Bewegungen und der Funktionsweise des Fernsehens, also der Zeichen, Bilder und Aussagen in der zeitgenössischen Ökonomie.

 

Ereignis: Seattle 1999

Die Tage von Seattle waren ein veritables politisches Ereignis, das – wie jedes Ereignis – zuerst einen Wandel der Subjektivität und der ihr eigenen Art zu empfinden hervorgebracht hat. Die Losung "Eine andere Welt ist möglich" ist symptomatisch für diese Metamorphose der Subjektivität und ihres Empfindungsvermögens. Der Unterschied zu anderen politischen Ereignissen des gerade zu Ende gegangenen Jahrhunderts ist radikal. Das Ereignis von Seattle verweist beispielsweise nicht mehr auf den Klassenkampf und die notwendige Machtübernahme. Es erwähnt nicht das Subjekt der Geschichte, die Arbeiterklasse, ihren Feind, das Kapital, oder den tödlichen Kampf, den jene sich liefern müssen. Es beschränkt sich darauf anzukündigen, dass "Mögliches geschaffen wurde", dass neue Lebensmöglichkeiten aktuell sind und dass es darum geht, sie zu realisieren; dass sich eine mögliche Welt ausgedrückt hat und dass man sie zur Vollendung führen muss. Wir sind in eine andere intellektuelle Atmosphäre eingetreten, in eine andere konzeptuelle Konstellation.

Vor Seattle war eine andere Welt bloß virtuell. Jetzt ist sie aktuell bzw. möglich, aber ein Aktuelles, ein Mögliches, das man verwirklichen muss. Der Wandel der Subjektivität muss raumzeitliche Gefüge erfinden, die über diese Umwertung der Werte wachen, die eine nach dem Fall der Mauer, in der großen amerikanischen Expansion und der New Economy aufgewachsene Generation hervorzubringen vermochte. Doppelte Schöpfung, doppelte Individuation, doppeltes Werden.
Die Zeichen, Bilder und Aussagen spielen eine strategische Rolle in diesem doppelten Werden: Sie tragen dazu bei, das Mögliche entstehen zu lassen, und sie tragen zu seiner Verwirklichung bei. An diesem Punkt wird der "Konflikt" mit den herrschenden Werten konfrontiert. Der Vollzug der neuen Lebensmöglichkeiten stößt sich an der vorhandenen Machtorganisation und an den etablierten Werten. Im Ereignis sieht man das Untolerierbare einer Epoche und zugleich neue Lebensmöglichkeiten, die sie beinhaltet. Der Modus des Ereignisses ist das Problematische. Das Ereignis ist nicht die Lösung eines Problems, sondern eine Eröffnung des Möglichen. Für Michail Bachtin offenbart das Ereignis die Natur des Seins als Frage oder als Problem – und zwar auf solche Weise, dass die Sphäre des Ereignis-Seins gleichzeitig jene der "Antworten und Fragen" ist.

In den Tagen von Seattle haben wir es mit einem körperlichen Gefüge zu tun, einer Mischung von Körpern (mit ihren Aktionen und Passionen), welche aus individuellen und kollektiven Singularitäten zusammengesetzt ist (Vielfältigkeit der Individuen und der Organisationen – MarxistInnen, ÖkologInnen, GewerkschafterInnen, TrotzkistInnen –, MedienaktivistInnen, "Hexen", Black Block etc., die spezifische körperliche Verhältnisse des Ko-Funktionierens praktizieren); und es gibt ein Gefüge sprachlicher Aussagen, eine Ordnung des Ausdrucks, die aus einer Vielfalt von sprachlichen Anordnungen gebildet wird (die Aussagen von MarxistInnen sind nicht dieselben wie jene der MedienaktivistInnen, der ÖkologInnen oder der "Hexen" etc.). Die kollektiven Aussagegefüge drücken sich nicht allein durch die Sprache aus, sondern auch durch die technologischen Ausdrucksmaschinen (Internet, Telefon, Fernsehen etc.). Beide Gefüge sind in Hinblick auf die aktuellen Verhältnisse der Macht und des Begehrens konstruiert.
Es sind die historischen Bedingungen, von denen sich das Ereignis abwendet, um etwas Neues zu schaffen: Eine neue Mischung der Körper (Aktionen und Passionen, die sich z.B. bei den Demonstrationen aneinander reihen) und das Ausgedrückte, die sprachliche Aussage als Resultat bzw. als Effekt dieser körperlichen Mischung: Eine andere Welt ist möglich.
Die Körper werden vom Ausgedrückten (dem Sinn) weder beschrieben noch repräsentiert. Die mögliche Welt existiert vollkommen, aber sie existiert noch nicht außerhalb dessen, wodurch sie ausdrückt wird (die Slogans, die TV-Reportagen, die Internet-Kommunikation, die Zeitungen). Das Ereignis aktualisiert sich in den Seelen in dem Sinn, dass es eine Veränderung des Empfindungsvermögens erzeugt (als unkörperliche Transformation), welche eine neue Bewertung hervorbringt: Man erkennt das Untolerierbare der Epoche und die neuen Lebensmöglichkeiten, die sie impliziert. Beim Reden, beim Kommunizieren wurde der möglichen Welt schon eine gewisse Wirklichkeit verliehen, aber diese Wirklichkeit muss nun vollendet werden, sie muss gemacht werden, indem neue Körpergefüge erfunden werden.
Das Ereignis konstituiert das Verhältnis zwischen den beiden Typen von Gefügen; es ist das Ereignis, welches die Subjektivitäten und die Objektivitäten verteilen wird, das die Konfigurationen der Körper und der Zeichen umstürzen wird.

Nach Seattle waren alle mit ihrer körperlichen Maschine und ihrer Ausdrucksmaschine gekommen und kehrten mit der Notwendigkeit wieder heim, diese in Bezug auf das, was getan und gesagt worden war, neu zu definieren. Die Formen politischer Organisation (des Ko-Funktionierens der Körper) und die Aussageformen (die Theorien und Aussagen über den Kapitalismus, die Subjekte, die Ausbeutungsformen etc.) sind abzuwägen und auf das Ereignis zu beziehen. Sogar die TrotzkistInnen sind gezwungen, sich die Frage zu stellen: Was ist geschehen? Was geschieht? Was wird geschehen? Und zu berichten, was sie beim Ereignis machen (die Organisation) und was sie sagen (der Diskurs, den sie führen).
An dieser Stelle sehen wir, dass die Ordnung der sprachlichen Aussage das Problematische ist. Alle sind gezwungen, sich dem Ereignis zu öffnen, d.h. sich dem Bereich der Fragen und Antworten zu öffnen. Jene, die schon vorgefertigte Antworten bereithalten (und ihrer gibt es viele), versäumen das Ereignis. Das ist das politische Drama, das wir nach 1968 gelebt haben, das Ereignis zu versäumen, weil die Fragen schon ihre vorgefassten Antworten hatten (Maoismus, Leninismus, Trotzkismus).
Das Ereignis insistiert, d.h. es fährt fort zu wirken, Effekte zu produzieren: Die Diskussionen über das, was der Kapitalismus ist, und über das, was ein revolutionäres Subjekt heute ist, machen im Licht des Ereignisses gute Fortschritte auf der ganzen Welt. Sprache, Zeichen und Bilder repräsentieren nicht irgendetwas, sondern tragen dazu bei, dass es sich ereignet. Bilder, Sprachen und Zeichen sind konstitutiv für die Wirklichkeit und nicht für ihre Repräsentation.

 

Unternehmen

Gehen wir nun über zu der Frage, wie die Zeichen, Bilder und Aussagen von den Unternehmen im zeitgenössischen Kapitalismus verwendet werden. Das Unternehmen erzeugt nicht das Objekt (die Ware), sondern die Welt, in der das Objekt existiert. Ebenso wenig erzeugt es das Subjekt (ArbeiterIn und KonsumentIn), sondern die Welt, in der das Subjekt existiert. Im zeitgenössischen Kapitalismus müssen wir zuerst das Unternehmen von der Fabrik unterscheiden. Vor zwei Jahren kündigte ein großer, französischer multinationaler Konzern an, dass er sich von seinen elf Produktionsstätten trennen würde. Diese Trennung von Unternehmen und Fabrik ist ein Grenzfall, der aber im zeitgenössischen Kapitalismus immer häufiger wird. In der großen Mehrheit der Fälle werden diese beiden Funktionen ineinander integriert; wir nehmen jedoch an, dass ihre Trennung sinnbildlich für eine tiefgehende Transformation der kapitalistischen Produktion ist. Was wird dieser multinationale Konzern beibehalten? Was versteht er unter "Unternehmen"? Alle Funktionen, alle Dienstleistungen und alle Angestellten, die es ihm erlauben, eine Welt zu schaffen: Marketing, Service, Gestaltung, Kommunikation etc.

Das Unternehmen erzeugt eine Dienstleistung oder ein Produkt. In seiner Logik existiert die Dienstleistung oder das Produkt, ebenso wie KonsumentIn und ProduzentIn, für seine Welt, die des Unternehmens; diese letztere muss in den Seelen und Körpern der ArbeiterInnen und KonsumentInnen verinnerlicht werden. Im zeitgenössischen Kapitalismus existiert das Unternehmen nicht außerhalb der ProduzentInnen und KonsumentInnen, die ihm Ausdruck verleihen. Seine Welt, seine Objektivität und seine Wirklichkeit vermischen sich mit den Beziehungen, die das Unternehmen, die ArbeiterInnen und die KonsumentInnen zueinander unterhalten.

 

Kommunikation/Konsumtion

Gehen wir vom Konsum aus, da doch das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage umgekehrt wurde: Die KundInnen sind der Angelpunkt der Unternehmensstrategien. In Wirklichkeit berührt diese Definition aus der politischen Ökonomie nicht einmal das Problem: der Aufsehen erregende Aufstieg, die strategische Rolle, die die Ausdrucksmaschine im zeitgenössischen Kapitalismus spielt (Meinung, Kommunikation, Marketing, also Zeichen, Bilder und Aussagen). Konsumieren reduziert sich nicht auf den Akt des Kaufens und Vernichtens einer Dienstleistung oder eines Produkts, wie die politische Ökonomie und ihre Kritik lehren, sondern bedeutet zuerst die Zugehörigkeit zu einer Welt bzw. einem Universum.
Um welche Welt handelt es sich? Es reicht aus, den Fernseher oder das Radio einzuschalten, in einer Stadt spazieren zu gehen, eine Wochen- oder Tageszeitung zu kaufen, um zu wissen, dass diese Welt durch Aussagegefüge konstituiert ist, durch Zeichenregime, deren Ausdruck sich Werbung nennt, und das Ausgedrückte (den Sinn): eine Aufforderung, ein Kommando, welche für sich eine Bewertung, ein Urteil, eine Ansicht über die Welt, über sich selbst und die anderen darstellen. Das Ausgedrückte (der Sinn) ist keine ideologische Bewertung, sondern ein Anreiz (es gibt Zeichen), eine Aufforderung, eine Lebensform anzunehmen, d.h. eine Art sich anzuziehen, einen Körper zu haben, zu essen, zu kommunizieren, zu wohnen, sich zu bewegen, ein Geschlecht zu haben, zu sprechen etc. Das Fernsehen ist ein Fluss aus Werbung, der regelmäßig von Filmen, Unterhaltungssendungen und Nachrichtenprogrammen unterbrochen wird. Die Zeitung reduziert sich – nach der Darstellung Jean-Luc Godards –, wenn alle Seiten herausgenommen werden, die Werbung beinhalten, auf den Leitartikel des Chefredakteurs. Und ebenso ist das Radio ein ununterbrochener Fluss von Werbung und von Sendungen, bei denen es immer schwieriger wird zu wissen, wo die einen beginnen und die anderen aufhören. Leider muss man Deleuze Recht geben in seiner Überzeugung, dass das Unternehmen eine Seele habe, dass das Marketing sein strategisches Zentrum geworden sei und dass die Werbefachleute "kreativ" seien.

Das Unternehmen beutet zu seinem eigenen Vorteil die Dynamik des Ereignisses und den Prozess der Konstituierung von Differenz und Wiederholung aus, indem es sie entstellt und von der Logik der Wertsteigerung abhängig macht. Das "Ereignis" heißt für das Unternehmen Werbung (oder Kommunikation oder Marketing). Wir werden nur diesen besonderen Aspekt der Unternehmensstrategie im Bezug auf die Konstituierung der KonsumentInnen, seiner Kundschaft, analysieren. Die Unternehmen investieren mittlerweile bis zu 40% ihres Umsatzes in Marketing, Werbung, Styling, Design etc. Diese Investitionen in die Ausdrucksmaschine können bei weitem die Investitionen in "Arbeit" übertreffen.

Die Werbung verteilt – wie jedes "Ereignis" – zuerst Wahrnehmungsweisen, um so zu Lebensweisen aufzufordern; sie aktualisiert Weisen des Affizierens und Affiziertwerdens in den Seelen, um sie in den Körpern zu verwirklichen. Das Unternehmen bewirkt mit Werbung und Marketing unkörperliche Transformationen (die Losungen der Werbung), welche über die Körper und nur über sie ausgesagt werden. Die unkörperlichen Transformationen produzieren zuerst eine Veränderung des Empfindungsvermögens (oder würden sie gerne produzieren), eine Veränderung unserer Art zu bewerten.
Die unkörperlichen Transformationen haben keinen Referenten, denn sie sind autoreferentiell. Es gibt keine vorgängigen Bedürfnisse, keine natürlichen Notwendigkeiten, die die Produktion befriedigen würde. Die unkörperlichen Transformationen setzen die Bewertungen und ihr Objekt zur selben Zeit, in der sie sie erzeugen. Die Werbung stellt die spirituelle Dimension des "Ereignisses" dar, die das Unternehmen und die Werbeagenturen anhand des Gebrauchs von Bildern, Zeichen und Aussagen erfinden und die sich in den Körpern verwirklichen muss. Die materielle Dimension des Ereignisses, seine Realisierung, vollzieht sich, wenn die Lebensweisen, die Arten zu essen, einen Körper zu haben, sich zu kleiden, zu wohnen etc. sich in den Körpern inkarnieren: Man lebt auf materielle Weise zwischen den Waren und Dienstleistungen, die man kauft, in den Häusern, zwischen den Möbeln, mit den Objekten und den Dienstleistungen, die man als "Mögliches" ergriffen hat, in den Informations- und Kommunikationsflüssen, in die wir eingetaucht sind. Wir gehen zu Bett, wir beeilen uns, wir machen dies und das, während dieses "Ausgedrückte" in den Hertz-Wellen, in den telematischen Netzwerken und in den Zeitungen weiter zirkuliert (es "insistiert"). Es verdoppelt die Welt und unsere Existenz als ein "Mögliches", das in Wirklichkeit schon ein Kommando, eine autoritäre Parole ist, die sich durch Verführung ausdrückt.
In welcher Form stellt das Marketing die Aktualisierung in der Seele her? Welcher Typus von Subjektivierung/Unterwerfung wird von der Werbung mobilisiert? Die Gestaltung einer Werbung, die Verkettung und der Rhythmus der Bilder, die Tonspur sind nach der Art eines "Ritornells" oder eines "Wirbels" organisiert. Es gibt Werbungen, die in uns nachwirken, so wie ein musikalisches Thema oder ein Refrain. Es ist Ihnen sicher schon passiert, dass Sie sich beim Pfeifen eines Musikthemas aus der Werbung überrascht haben (auf jeden Fall geschieht es mir). Die Leibniz’sche Unterscheidung zwischen der Aktualisierung in den Seelen und der Realisierung in den Körpern ist sehr wichtig, da diese beiden Prozesse nicht zusammenfallen und vollkommen unvorhersehbare Wirkungen auf die Subjektivität der Monaden nach sich ziehen können.

Die Fernsehnetzwerke kennen keinen nationalen Grenzen, keine Klassen-, Status- und Einkommensunterschiede. Ihre Bilder werden in nicht-westlichen Ländern oder in den ärmsten Schichten der westlichen Bevölkerung empfangen, die eine schwache oder gar keine Kaufkraft haben. Die unkörperlichen Transformationen wirken gut auf die Seele der FernsehzuschauerInnen, indem sie ein neues Empfindungsvermögen schaffen, denn ein Mögliches existiert wohl, wenn auch nicht außerhalb seines Ausdrucksmediums (den Fernsehbildern). Diesem Möglichen genügt es, um eine gewisse Wirklichkeit zu haben, dass es durch ein Zeichen ausgedrückt wird, wie Deleuze es uns vorgeführt hat. Aber die Verwirklichung in den Körpern, die Möglichkeit zu kaufen und mit seinem Körper unter den Dienstleistungen und Waren zu leben, die von den Zeichen als mögliche Welten ausgedrückt werden, folgt dem nicht immer (und für eine Mehrheit der Weltbevölkerung überhaupt nicht), wodurch Erwartungen, Frustrationen und Ablehnung Anlass gegeben wird. Suely Rolnik spricht in Zusammenhang mit der Beobachtung dieser Phänomene in Brasilien von zwei subjektiven Figuren, die zwei Extreme darstellen, in denen sich die Variationen der Seele und des Körpers artikulieren, die von der gerade beschriebenen Logik produziert werden: dem Glanz der "Luxus-Subjektivität" und dem Elend der "Abfallsubjektivität". Der Westen ist entsetzt von den neuen "islamischen" Subjektivitäten. Aber das "Monster" hat er selbst erschaffen, und zwar mithilfe seiner "friedlichsten", verführerischsten Techniken. Wir stehen hier nicht Resten von traditionellen und zu modernisierenden Gesellschaften gegenüber, sondern tatsächlichen Cyborgs, die das "Älteste" mit dem "Modernsten" verbinden.

Die unkörperlichen Transformationen geschehen zuerst und schneller als die körperlichen Transformationen. Drei Viertel der Menschheit sind von diesen letzteren ausgeschlossen, sie haben leichter Zugang zu den ersteren (zuerst und vor allem durch das Fernsehen). Der zeitgenössische Kapitalismus kommt nicht zuerst mit den Fabriken an; diese folgen nach, wenn sie überhaupt kommen. Er kommt zuerst mit Worten, Zeichen und Bildern an. Und ebendiese Technologien gehen heute nicht nur den Fabriken, sondern auch der Kriegsmaschine voraus.

Das Ereignis ist eine Begegnung und sogar eine doppelte: Das eine Mal trifft es die Seele, das andere Mal den Körper. Diese doppelte Begegnung kann einer doppelten Verschiebung Raum geben, denn sie ist ja nur eine Eröffnung von Möglichkeiten in der Modalität des "Problematischen". Die Werbung ist nur eine mögliche Welt, eine Falte, die Virtualitäten birgt. Die Ausfaltung dessen, was in ihr eingehüllt ist, die Entfaltung der Falte, kann vollkommen heterogene Effekte hervorbringen, denn zum einen begegnen sie Monaden, die alle autonome, unabhängige und virtuelle Singularitäten sind. Zum anderen – wie wir in der neo-monadologischen Ontologie gesehen haben – ist eine andere mögliche Welt immer virtuell vorhanden. Die Gabelung divergierender Serien sucht den zeitgenössischen Kapitalismus heim. Unvereinbare Welten entfalten sich in derselben Welt. Deshalb ist der kapitalistische Prozess der Aneignung niemals in sich selbst geschlossen, sondern immer ungewiss, unvorhersehbar, offen. "Existieren heißt differieren", und diese Differenzierung ist jedes Mal aufs Neue ungewiss, unvorhersehbar und riskant.

Der Kapitalismus versucht diese Gabelung, die virtuell immer durch die Variation und die kontinuierliche Modulation möglich ist, zu kontrollieren: weder Produktion eines Subjekts noch Produktion eines Objekts, sondern Subjekte und Objekte in kontinuierlicher Variation, geleitet durch die Technologien der Modulation, die sich ihrerseits in kontinuierlicher Variation befinden.

Die Kontrolle drückt sich in den westlichen Ländern nicht nur durch die Modulation der Gehirne aus, sondern auch durch die Formung der Körper (in Gefängnissen, Schulen und Krankenhäusern) und das Lebensmanagement ("workfare"). Wir würden unseren kapitalistischen Gesellschaften ein Geschenk machen, wenn wir denken, dass alles durch die kontinuierliche Variation der Subjekte und Objekte geschieht, durch die Modulation der Gehirne und mittels der Vereinnahmung des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit durch die Zeichen, Bilder und Aussagen. Die Kontrollgesellschaft integriert die "alten" disziplinären Dispositive. In den nicht-westlichen Gesellschaften, wo die disziplinären Institutionen und das "workfare" schwächer und weniger entwickelt sind, bedeutet Kontrolle sofort Kriegslogik, selbst in Zeiten des "Friedens" (vgl. nach wie vor Brasilien).

Der paradigmatische Körper der westlichen Kontrollgesellschaften wird nicht mehr durch den eingesperrten Körper des Arbeiters, des Wahnsinnigen, des Kranken repräsentiert, sondern durch den fettsüchtigen (voll mit den Welten der Unternehmen) oder den anorektischen Körper (Ablehnung dieser Welt), welche im Fernsehen die von Hunger, Gewalt und Durst geschundenen Körper der Mehrheit der Weltbevölkerung sehen. Der paradigmatische Körper unserer Gesellschaften ist nicht mehr der stumme, von den Disziplinen geschmiedete Körper, sondern es sind die Körper und Seelen, die von den Zeichen, Wörtern und Bildern (den Unternehmenslogos) markiert sind, die sich uns einschreiben – ähnlich dem Verfahren, durch welches die Maschine in Kafkas "Strafkolonie" ihre Befehle selbst noch in die Haut der Verurteilten einritzt.
In den 1970er Jahren hat Pasolini sehr genau beschrieben, wie das Fernsehen die Seele und den Körper der ItalienerInnen verändert hat, wie es das Hauptinstrument einer anthropologischen Transformation war, die zuerst und vor allem die Jugend betraf. Er verwendet praktisch dasselbe Konzept wie Gabriel Tarde, um die Modalitäten einer Wirkung des Fernsehens auf Distanz zu beschreiben: Das Fernsehen wirkt durch das Beispiel anstatt durch Disziplin, durch Imitation anstatt durch Zwang. Es ist Aufsicht des Verhaltens, Einwirkung auf mögliche Aktivitäten. Pasolinis Filmtrilogie über Körper wurde abgelehnt, weil sie diese Transformation nicht aufgegriffen hat. Sie sprach noch vom Körper vor der Modulation der Gehirne und für gewisse Aspekte sogar vor den Disziplinargesellschaften.
Diese unkörperlichen Transformationen, die in unserem Kopf wie Ritornelle wieder und wieder kommen, die augenblicklich auf der ganzen Welt zirkulieren, die in jeden Haushalt dringen und die eine richtige Waffe zur Eroberung, zur Erfassung der Gehirne und der Körper darstellen – sie sind einfach unverständlich für die marxistische Theorie und für die ökonomischen Theorien. Wir befinden uns hier vor einem Paradigmenwechsel, den wir nicht ausgehend von der Arbeit, noch von der Praxis her erfassen können. Im Gegenteil könnte es vielmehr sein, dass Letztere ein falsches Bild gibt von dem, was Produktion heute bedeutet, denn der Prozess, den wir gerade zu beschreiben versucht haben, ist tatsächlich die Vorbedingung jeder Organisation von Arbeit (oder Nicht-Arbeit).

Bilder, Zeichen und sprachliche Aussagen sind also das Mögliche, mögliche Welten, die die Seelen (die Gehirne) affizieren und sich in den Körpern verwirklichen müssen. Bilder, Zeichen und Aussagen intervenieren sowohl bei den unkörperlichen als auch bei den körperlichen Transformationen. Ihre Wirkungsweise ist die der Erschaffung und Realisierung von Möglichem, und nicht die der Repräsentation. Sie tragen zu den Metamorphosen der Subjektivität bei, und nicht zu ihrer Repräsentation.