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04 2005

Eine performative Bewegung

Paolo Virno

Übersetzt von Klaus Neundlinger

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journal
precariat

1. Seit Seattle gleicht die globale Bewegung einer Batterie, die nur zur Hälfte funktioniert: Sie lädt sich zwar ständig auf, ohne jedoch zu wissen, auf welche Weise und in welchen Zusammenhängen sie die angestaute Energie einsetzen soll. Wir wohnen also einem wundersamen Prozess der Schatzbil­dung bei, dem vorerst keine adäquaten Investitio­nen entsprechen. Oder, um ein weiteres Bild zu be­mühen, wir haben ein neues, ausgefeiltes und leistungsstarkes High-Tech-Gerät vor uns, ohne über dessen Gebrauchsanleitung zu verfügen. Die symbolisch-mediale Dimension (rote Zonen, in die De­monstrierende ein paar Meter eindringen, internationale Foren, die als Momentaufnahmen der in Entwicklung befindli­chen "neuen Spezies" herum­gereicht werden wie Polaroid-Fotos usw.) war zu­gleich Chance und Grenze. Einerseits hat sie für die Akkumulation der Energien gesorgt, andererseits aber deren Einsatz verhindert oder unendlich auf­geschoben. Jede/r Aktivist/in ist sich dessen be­wusst: Die globale Bewegung ist noch nicht im­stande, auf die aktuelle kapitalistische Akkumula­tion einzuwirken – im Sinne einer als zersetzend verstandenen (Ein)-Wirkung. Die Bewegung hat also diejenigen Formen des Kampfes, die dazu geeignet sind, die Lage der prekären, befristeten und atypischen Arbeit in subversives politisches Vermögen zu verwandeln, noch nicht ausreichend gebündelt. Woher kommt diese Schwierigkeit? Wa­rum sind die Pro­fitraten und die konstituierten Mäch­te durch drei Jahre voller Unruhen nicht wesentlich beeinträchtigt worden? Worauf ist dieser paradoxe double-bind zurückführen, aufgrund des­sen der symbolisch-kommu­nikative Bereich gleich­zeitig authentische Antriebsfeder und Quelle der Lähmung ist?

Die globale Bewegung ist in die Enge getrieben, weil sie sich innerhalb der zeitgenössischen Pro­dukt­ions­verhältnisse bewegt, nicht weil sie diesen äußerlich wäre oder sich an deren Rändern aufhalten würde, wie einige behaupten.

Die Bewegung stellt die konfliktgeladene Schnitt­stel­le innerhalb des postfordistischen Arbeitspro­zesses dar. Aus eben diesem Grund (und nicht trotz dieses Umstandes) erscheint sie in der Öffentlich­keit als ethische Bewegung. Was bedeutet das? Die zeitgenössische kapitalistische Produktion setzt alle Fertig­keiten, die unsere Art gegenüber allen ande­ren auszeichnen, zu ihrem Nutzen ein: abstraktes Denken, Sprache, Einbildungskraft, Affekte, ästhe­tischen Geschmack usw. Seit fünfzehn Jahren wur­de (meines Erachtens mit gutem Grund) immer wie­der darauf hingewiesen, dass der Postfordismus das Leben als solches als Arbeitskraft einsetzt. Man wird schnell darüber einig werden, dass es sich dabei um eine grob vereinfachende Formulierung handelt, doch schlage ich vor, uns an sie zu halten, unter der Prämisse, dass es diesbezüglich natürlich detaillierterer Analysen bedarf. Wenn es also stimmt, dass die postfor­distische Produktion sich das "Leben" aneignet, in anderen Worten das Zu­sammenspiel der spezifisch menschlichen Fähig­keiten, dann ist es wohl offensichtlich, dass der Aufstand dagegen sich an eben die­sem Umstand festmachen lässt. Dem von der flexiblen Produktion vereinnahmten Leben wird die Instanz des "guten Lebens" entgegengesetzt. Und die Suche nach dem "guten Leben" ist das Thema der Ethik.

Darin besteht die Schwierigkeit und die wahre Her­ausforderung. Der Primat der Ethik ist die unmittelbare Konsequenz der materiellen Produktionsver­hältnisse. Aber dieser Primat scheint zunächst einmal von dem weg zu führen, was wir eben als seine Ursache erkannt haben. Eine ethische Bewegung wird Mühe haben, sich in die Art und Weise, über die heutzutage der Mehrwert geschaffen wird, ein­zumischen. Die Arbeitskräfte, die sich im Zentrum des globalisierten Postfordismus befinden – Pre­käre, Flexible, Grenz­gängerInnen zwischen Be­schäftigung und Arbeitslosigkeit – verteidigen eini­ge allgemeine Prinzipien der conditio humana: die Redefreiheit, den freien Zugang zum Wissen als Gemeingut, den Frieden, den Um­weltschutz, Ge­rech­tigkeit und Solidarität, das Streben nach einer Öffentlichkeit, in der die Einzigartigkeit jeglicher Existenz im Vordergrund steht. Obgleich die ethi­sche Instanz, die zwar im gesellschaftlichen Ar­beits­tag verwurzelt ist, über diesen letzteren weit hinausgeht, so verändert sie doch noch nicht die Kräf­teverhältnisse, die in seinem Inneren walten.
Misstrauen gegenüber der ethischen Kraft der Be­wegung ist nicht angebracht, wenn es auf dem Vor­wurf basiert, die Bewegung vernachlässige auf die­se Weise den Kampf gegen die Ausbeutung. Es wä­re aber auch ein Irrtum, aus den umgekehrten Grün­den weihevoll zu verkünden, diese ethische Kraft sei nicht mehr auf Kategorien wie "Ausbeu­tung" und "Klassenkampf" angewiesen. In beiden Fällen geht die Kritik an der entscheidenden Frage­stellung vorbei: die konfliktuale Beziehung zwischen der Instanz des "guten Lebens" (die durch Genua und Porto Alegre verkörpert wird) und dem als Arbeitskraft eingesetzten Leben (als Kern des postfordistischen Unternehmens).

Als Kürzel für die verschiedenen sozialen Figuren, die in der globalen Be­wegung zusammenfließen, möchte ich den Begriff Massenintellektualität verwenden: MigrantInnen, Prekäre, ArbeiterInnen im Be­reich Kommunikation, Leute, die im Total Quality Management tätig sind. Es ist ebenso einfach wie ab­wegig, zu behaupten, die Massenintellektualität sei eine ökonomisch-soziologische Kategorie unter ande­ren, die eins zu eins jene Kategorien ersetze, die in früheren Zeiten verwendet wurden (Fachar­bei­terIn, unqualifizierte/r ArbeiterIn usw.). Aber es ist genauso einfach und irreführend, zu meinen, die Massenin­tellektualität überschreite die Ökonomie und die Soziologie, da sie vielmehr von kulturellen Konstellatio­nen und ethischen Einstellungen be­stimmt sei. Die Angelegenheit ist komplizierter. Insofern die Massen­intellektualität heute die zentrale Achse der kapitalistischen Akkumulation dar­stellt, ist sie von herausra­gender ökonomisch-sozio­logischer Bedeutung. Anderseits ist sie eben die zentrale Achse der kapitalisti­schen Akkumulation, weil ihre wichtigsten Eigenschaften nur in ethisch-kulturellen Begriffen beschrieben werden können, als ausdifferenzierte Menge an Lebensformen. Kurz gesagt, die Massenintellektualität steht im Zentrum der postfordistischen Ökonomie, weil ihre Seins­weise sich den kanonischen Begriffen der politi­schen Ökonomie entzieht. Dieses Paradox erklärt die teils vorteilhafte, teils lähmende Zentralität des symbolisch-kommunikativen Terrains, auf dem die Bewegung verschiedenste Kräfte mobilisiert hat.

2. Rufen wir uns die beiden berühmten aristoteli­schen Definitionen des "Homo Sapiens" in Erinne­rung: "das Lebewesen, das über Sprache verfügt" und "das politische Lebewesen". Sprachbegabtes Wesen: der verbale Ausdruck, integraler Bestandteil unserer biologischen Konstitution, formt jeglichen Affekt und jegliche Wahrnehmung mit. Politisches Wesen: der transindividuelle (oder, besser gesagt öffentliche) Charakter des menschlichen Geistes, seine Fähigkeit zu interagieren, zu kooperieren und sich dem Mögli­chen und dem Unvorhergesehenen gegenüber anzupassen. Meines Erachtens fassen diese beiden Defini­tionen aus der Antike gut zu­sammen, was man unter dem als Arbeitskraft ein­gesetzten Leben zu verste­hen hat. Die tatsächlichen beruflichen Fähigkeiten (wie man so schön sagt), die von den postfordistischen ArbeiterInnen (vom "flexiblen Menschen") verlangt werden, bestehen im Vermögen, Zeichen zu produ­zieren, zu kommuni­zieren und zu interagieren bzw. kommunikativ zu handeln. Die globale Bewegung hat als Bewegung des "guten Lebens" versucht, diese grundlegenden Fähigkeiten aus den ökonomischen Zwängen zu lö­sen, indem sie diesen eine völlig andere Form ge­ge­ben hat als diejenige, die sie innerhalb der Un­ter­nehmen angenommen hatten. Insofern ist dies gar nicht so verschieden von dem, was man in frü­heren Zeiten "Wiederaneignung der Produktivkräf­te" genannt hätte.

Die globale Bewegung spricht und handelt aus eige­nem Antrieb, sie wird nicht von außen regiert oder gelenkt. Worin besteht jedoch genau dieses Sprech­handeln, die innige Verwobenheit von Sprache und Praxis, die die Bewegung des Sich-Abwendens von den konstituierten Mächten charakterisiert? Und vor allem, unter welchen Bedingungen zeigt das Sprech­handeln Wirkung, wann verändert es die Zu- und Umstände? In welchen Fällen bleibt es hingegen leere Geste? Um diese Fragen zu beantworten, ist es vielleicht nützlich, auf die Sprechakttheorie des englischen Philosophen John L. Austin zurückzukommen.

In seinem berühmten Buch mit dem Titel „How to do things with words“ analysiert Austin jene Aussa­gen, bei denen es genügt, sie auszusprechen, um sozial bedeutende Handlungen zu setzen; Handlun­gen, die nicht weniger konkret und folgenreich sind als ein Kuss oder eine Transaktion an der Börse; Handlungen jedoch, deren Vollzug ohne Sprechen nicht möglich ist. Wenn ich sage: "Ich taufe dieses Kind auf den Namen Lukas", "Ich schwöre, dass ich nach Rom kommen werde", "Ich wette, dass Inter Mailand Meister wird", oder "Ich verzeihe dir", dann handelt es sich nicht um die Beschreibung einer Handlung (Taufe, Schwur usw.), sondern um deren Ausführung. Ich spreche nicht von Dingen, die ich gerade mache, son­dern ich tue etwas, indem ich spreche. Diese Aussagen, die Austin Performative nennt, sind Praxisfrag­mente. Mit diesen beschränkt man sich nicht darauf, Vorsätze, Programme oder Ziele zu formulieren, sondern man verwirklicht sie, wenn alles so funktioniert, wie es sollte, im Moment des Aussprechens. Die Performative sind selbstrefe­renziell. Es handelt sich dabei aber um eine anoma­le Selbstreferenz, die kei­neswegs "müßig" ist: Die Aussage wird auf sich selbst als Handlung bezogen, die im Begriff steht, vollzo­gen zu werden (nicht auf sich selbst als einfache Wortbedeutung). Sätze wie: "Ich taufe dieses Kind auf den Namen Lukas" be­zeichnen einen Sachverhalt oder Zustand, den sie selbst erzeugen. Sprechen und Tun sind hier in einem circulus virtuosus aufeinander bezogen.

Die von Austin untersuchten Performative stellen also in aller Klarheit nicht bloß die Nähe, sondern die Einheit der beiden aristotelischen Definitionen vom Menschen unter Beweis. Sie zeigen auf, dass das Sprachvermögen zwar auf ein biologisches Or­gan zurückzuführen ist, dieses biologische Organ jedoch das Organ der öffentlichen Praxis ist. Das sprachbegabte Wesen ist in sich ein politisches We­sen: es handelt über das Sprechen, es sprechhandelt. Die performativen Aussagen schließen nicht anders als das politi­sche Handeln im Allgemeinen das Sich-dem-Blick-der-Anderen-Aussetzen ein. Sie können nicht bloß ge­dacht oder im Telegrammstil gemurmelt werden. Um wirksam zu werden, müs­sen Sätze wie "Ich wette, dass …", "Ich begrüße dich!" oder "Ich taufe …" mit kräftiger Stimme und auf passende Weise ausgespro­chen werden, damit sie in jenem Bereich, der niemandem und allen zugleich gehört und Öffentlichkeit heißt, ihren Platz finden. Ein nicht wahrnehmbarer Performativ käme einem bloß eingebildeten Streik gleich.

Die globale Bewegung ist als ethische oder Bewe­gung des "guten Lebens" eine performative Bewe­gung. Sowie bei einer Taufe oder Wette schaffen viele ihrer Behauptungen das Ereignis, auf das sie sich bezie­hen. Wer "Die Sitzung ist eröffnet" sagt, macht etwas mit Worten, er legt den Beginn einer Diskussion fest. Dasselbe gilt unter bestimmten Be­dingungen für jemanden, der "Desertion" oder "No Copyright" sagt. Es geht mir keinesfalls darum, zu behaupten, die Initiativen der globalen Bewegung bestünden im Wesentlichen in verbalen Äußerungen. Ich will auf etwas anderes hinaus. Die Initia­tiven der globalen Bewegung, ob wortreich oder wortkarg, sind keine Mittel zu einem bestimmten Zweck, sondern stellen in ihrer konkreten Ausge­stal­tung Beispiele von Alternativen gegenüber den herrschenden Lebensformen dar.
Ausführung und Ergebnis fallen der Tendenz nach zusammen. Deshalb spreche ich von Performativi­tät. Performativ ist eine Bewegung, deren Sprech­han­deln dazu führt, dass sie sich die Zielsetzungen aneignet und konkret eine soziale Kooperation ent­wickelt, die mit der postfordistischen Produktions­ordnung auf Kollisionskurs geht. Es ist wohl richtig, dass das performative Sprechhandeln das Symbo­lisch-Rituelle einschließt, in diesem Fall ist der Be­griff "symbolisch" aber nicht abwertend gemeint, insofern er auf ei­nen hohen Grad an Aktivität verweist.

Hannah Arendt hebt in Vita activa zwei charakteristische Züge der politischen Praxis hervor:  Der er­ste besteht darin, dass stets mit etwas Neuem be­gonnen wird, das nicht durch eine Verkettung von Ursachen vorgegeben ist; der zweite Wesenszug ist das Sich-den-Anderen-Zeigen. Ihrer Einschätzung nach bildet der kontingente und unerwartete Ein­satz, einer zweiten Geburt nicht unähnlich, das Handeln im strengen Sinn. Das Sich-Aussetzen hin­gegen wurzelt in der Rede, durch die der oder die Handelnde über sein oder ihr Tun Auskunft gibt. Die zwei Seiten der politischen Praxis – der Neubeginn und das Ergreifen des Wor­tes – implizieren sich gegenseitig."

Das Handeln wäre ohne die Rede kein Handeln mehr, weil ihm dadurch der Handelnde, also derjenige, der einen Akt vollzieht, fehlen wür­de. Das Handeln ist nur möglich, wenn es zugleich auch zu sprechen imstande ist. Die Handlung, die jemand setzt, offenbart sich den anderen durch das Wort, und auch wenn die Geste des Handelnden, auf ihre nackte physische Erscheinung reduziert, ohne jeg­liche Beteiligung von Worten wahrgenommen werden kann, hat letztlich nur der Ausdruck, über den jemand sich selbst als Handelnden zu erkennen gibt, Bedeutung, indem er verkündet, was er tut, getan hat oder zu tun ge­denkt." Trotz ihrer innigen Verwobenheit bleiben Tun und Spre­chen einander weiter äußerlich. Das Han­deln er­fährt durch das Reden seine Bestätigung, ohne je­doch daraus hervorzugehen. Das Reden dient sei­nerseits dazu, vom Handeln zu erzählen oder dazu aufzurufen, und dennoch ist es nicht sein Kern. Die­se Äußerlichkeit verschwindet jedoch, als Arendt auf zwei exemplarische politische Handlungen zu sprechen kommt: das Versprechen und das Verzeihen. Das Verspre­chen ist eine Art und Weise, auf die die Menschen, die öffentlich tätig sind, das Ausmaß der Unvorher­sehbarkeit der künftigen Ereignisse ein­schränken. Das Verzeihen wirkt der Unabänderlichkeit der Ver­gangenheit entgegen. Nun bestehen sowohl das Ver­sprechen als auch das Verzeihen in zwei performativen Aussagen, in nichts anderem als Wörtern, durch die man Dinge tut. Der Ursprung von etwas Neuem und die Rede ergänzen einander nicht nur, sondern sind nicht mehr voneinander zu unterschei­den. Die globale Bewegung macht sich diese Unun­terschiedenheit zu eigen, insofern sie vielfältige Arten des Versprechens und Verzeihens praktiziert.

3. Die Sprechakttheorie trägt also einerseits dazu bei, die Vorliebe der globalen Bewegung für symbo­lisch-kommunikative Akte zu erklären, zum an­deren liefert sie uns konkrete Hinweise bezüglich der typi­schen Probleme und Schwierigkeiten (Illu­sionen, Stillstand, …), in die man innerhalb dieses Milieus gera­ten kann. Ich fasse in aller Kürze einen wichtigen Aspekt zusammen: Laut Austin sind die Performative nicht wahr oder falsch, da sie keine Tatsachen beschreiben, sondern solche ex novo schaffen. Obwohl sie weder richtig noch falsch sind, können sie doch gelingen oder scheitern, wie das übrigens bei jeder Handlung vorkommen kann. Austin nennt einen Performativ, der nichts verwirklicht, missglückt. Es gibt verschiedene Arten des "Misslingens", also verschiedene Formen des Schei­terns beim Versuch, zu sprechhandeln. Ich be­schränke mich in diesem Zusammenhang darauf, jene Formen einer Betrachtung zu unterziehen, die die performativen Praktiken der globalen Bewegung betreffen.

Ein Performativ ist (in der Terminologie Austins) als leer zu bezeichnen, wenn  er in einem Gedicht vor­kommt oder von einem Schauspieler auf der Bühne vorgetragen wird. Es ist klar, dass ich, wenn ich den Satz: "Ich schwöre, dass ich morgen nach Rom komme" als Zeile eines Theaterstücks aus­spreche, keine Handlung des Schwörens vollziehe, sondern diese bloß erwähne oder rezitiere. Die Per­formativität der Bewegung hat sich manchmal aufs Zitieren reduziert. Das Sprechhandeln bleibt leer, wenn es zwischen Anführungszeichen gesetzt wird.

Ein weiteres Übel bezüglich der Performative ist ihre missbräuchliche Verwendung. Wenn ich, der ich kein Priester bin, "Ich taufe dieses Kind auf den Namen Lukas" sage, vollbringe ich nichts. Häufig hängt die Wirksamkeit eines Performativs von ge­nau definierten institutionellen Rollen oder von ju­ridisch festge­legten Vorrechten ab. So steht es et­wa dem Parlamentspräsidenten und niemand ande­rem zu, zu ver­lautbaren: "Die Sitzung ist eröffnet." In einigen Fällen war die globale Bewegung versucht, so zu tun, als ob sie in die Rolle der Europä­ischen Kommission, der UNO oder eines Schiedsge­richts schlüpfen würde (und sei es auch nur, um der Funktionsweise dieser Organismen ihren Stem­pel aufzudrücken). Das Imi­tieren institutioneller Rollen oder bestimmter Vorrechte ist falsch und wirkt sich auf die Bewegung läh­mend aus; falsch, weil es eigentlich vonnöten wäre, diese Rollen und Vorrechte in Frage zu stellen; läh­mend, weil das Sprechhandeln auf diese Weise unwirksam bleibt. Im besten Fall fällt der Missbrauch dann in eine harmlose (zitierend-theatralische) Leere zurück.

Schließlich gibt es fehlgeschlagene Sprechakte. Wenn ich sage: "Ich nehme diese Person zu meiner Frau", ohne dass die geliebte Person anwesend ist, so feiere ich klarerweise keine Hochzeit. Wenn ich zu einem Menschen, der zwei Kilometer entfernt steht, sage: "Ich begrüße Sie", dann vollziehe ich natürlich keinen Akt des Grüßens. In diesen Fällen unterminiert ein Mangel an Zusammenhang die Performativität. Die materiellen Umstände der Sprechakte sind diesen nicht angemessen. Dieser Typ des Misslingens ist wohl der interessanteste in Bezug auf eine Reflexion über die Schwierigkeiten der globalen Bewegung. Sprechhandeln in Anfüh­rungszeichen, Sprechhandeln, indem man sich miss­bräuchlich institutionelle Rol­len zuschreibt, ist ein Fehler. Das Fehlschlagen hingegen ist etwas Unvermeidliches (und sogar Lehrrei­ches) hinsicht­lich einer politischen Praxis, die beabsichtigt, neue kollektive Gewohnheiten über eine suk­zessive An­näherung vorzuzeichnen. Die Performativität, die weder juridisch noch theatralisch ist, zielt darauf ab, politisch nachvollziehbare und nachahmbare Beispiele zu schaffen. Die Modi, in denen die In­stanz des "guten Lebens" den Einsatz-des-Lebens-als-Arbeitskraft aufzuheben imstande ist (und so der Ausrichtung auf die Profitraten und dem Kom­mando über die Arbeitskraft etwas entgegensetzen kann), schließen jedoch ein Vorgehen gemäß dem Schema "Versuch und Irrtum" ein, also eine ge­wisse Menge an fehlgeschlagenen Versuchen.


Der Text wurde auch publiziert in: Kulturrisse 02/05.