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Patricia Köstring 03/03
Dürfen die das (wenn es niemand merkt)?
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Kunst kann unabhängig vom / in Oppositionen zum Kunstbetrieb agieren. KünstlerInnen können sich in ihrer Arbeit der Analyse und dem Wandel gesellschaftlicher Rahmenbedingungen verpflichten, ohne dabei nach gängigem Verständnis musealisierbare Produkte herzustellen, wandeln dabei aber auf einem schmalen Grat. Auf dessen einer Seite lauern Marginalisierung, ausbleibende Anerkennung der künstlerischen Arbeit und/oder Selbstausbeutung; auf der anderen Vorwürfe wie jener der Untermauerung der Definitionsmacht der Kunstinstitutionen, indem einfach über den Prozess anstelle des Produkts in den Kunstbetrieb eingestiegen wird; oder jener, dass die mikropolitischen Effekte gesellschaftlich agierender Kunst Ablenkungsmanöver in einer Gegenwart sind, in der sich der Staat aus dem sozialen Feld zurückzieht; oder jener der Generierung der Figur des "Anderen" durch die Partizipationsmodelle der Public Art, verbunden mit den Segnungen eines Mutter-Teresa-Effekts für alle Beteiligten.

Das Storyboard zur Geschichte und - zergliederten - Gegenwart prozessorientierter, kritischer Kunstpraxen, bestehend aus den Handlungen ihrer multipel agierenden ProtagonistInnen, Symposien, Publikationen und auch Ausstellungen, hat sich noch nicht zu einer Verortung im Kunstbetrieb verdichtet. Ein wirklicher Shift des ästhetisch orientierten Kunstbegriffs hat nicht stattgefunden. Aussagen zur Relevanz und Rezeption sind aber selbst bei jenen, die nicht mit Jean-Christophe Ammanns Credo "Trust the Art, not the discourse generating the Art" gehen, unterschiedlich: "Ist es unsexy und kommt es beinahe einer Analfixierung gleich, gesellschaftliche Machtverhältnisse zu analysieren?", fragt Hedwig Saxenhuber im Shorttext zu ihrem Vortrag auf der "manifesta" 2002 in Frankfurt/Main. "Je höher der ornamentale Anteil der Wirklichkeit und ihrer Konfliktstoffe (besonders beliebt sind derzeit Issues der Urbanität und der postkolonialen Identitätsproduktion), desto größer die Chance auf ein Ausstellungsprojekt im Museum", analysiert hingegen Marius Babias. "In Zusammenhang mit der autoritätskritischen und prozesshaften Kunst der Neunziger muss man darauf hinweisen, dass auch Projekte, Aktionen, Texte und andere nicht-objekthafte Formen längst einen eigenen Markt bedienen", meint wiederum Stella Rollig. Die Kokerei Zollverein Essen, Kunst-Produktionsort mit einigem Theorie-Output, schlittert im Pressetext zu den durchaus produktorientierten Geschwistern Irene und Christine Hohenbüchler selbst in das Legitimationsdilemma: "Um einer Festschreibung als Therapeutinnen zu entgehen, agieren die Hohenbüchlers parallel zu ihren Projekten mit gesellschaftlichen Randgruppen aber auch als Malerinnen und Bildhauerinnen."

Zwei Ausstellungen waren es jüngst in Wien, die sich mit - sehr unterschiedlichen - Aspekten rund um Legitimation und Verortung nicht-institutioneller Kunst befassten. Die von der Schweizer Künstlerin und Kuratorin Ursula Biemann für die Generali Foundation kuratierte Schau "Geografie" und "Inscribing the Temporal" in der Kunsthalle Exnergasse; letztere gliederte sich in drei Teile, der von der amerikanischen Kuratorin Sara Reisman zusammengestellten Ausstellung zu nicht-institutioneller Kunst in New York, einem Archiv zur Wiener und New Yorker "Szene" (zusammengestellt von Hemma Schmutz und Peter Szely bzw. Rebecca Guber, Elizabeth Hires und Sara Reisman) und einem Symposion. Partner bei "Inscribing the Temporal" war das Forschungsprojekt republicart, das zeitgenössische Formen der Public Art untersucht und fördert.

Eigentlich ist es Aufgabe dieses Textes, anhand von "Inscribing the Temporal" die Einschreibung ephemerer Kunstprojekte in das Kunstfeld näher zu betrachten. Ein Querverweis auf die Ausstellung in der Generali Foundation ist dennoch sinnvoll, denn beide Ausstellungen stellen relevante Fragen zum künstlerischen Selbstverständnis und zu künstlerischen Arbeitsmöglichkeiten, konnten jedoch Problemen bei der Visualisierung der entsprechenden Prozesse in den Ausstellungsraum nicht gänzlich entkommen. Ursula Biemann stellt in ihrem Katalogtext die These in den Raum, dass die KünstlerInnen als BedeutungsproduzentInnen an der Gestehung der (diskursiven) Orte, die sie beschreiben, beteiligt sind, und favorisiert gleichzeitig kollektive, oft interdisziplinäre Arbeitsansätze. Biemann verweist auch auf den Ausstellungsraum als einen Ort, in den sich temporäre Projekte allmählich in Form eines Programms einschreiben. Hier finden sich also in den Fragestellungen und Antwortangeboten Parallelen zu "Inscribing the Temporal".

Die Rolle von Ausstellungsorten sowie den Effekten künstlerischer Prozesse auf den gewählten Handlungsort war auch Thema in der Exnergasse, einem genuin anderen Ausstellungsort, wenn etwa auf dem Symposion Fragen nach den Strategien der Einschreibung oder den politischen Wirkungen vs. bloßen Distinktionseffekten diskutiert wurden vor dem Hintergrund des in die Bedeutungsproduktion drängenden Verwaltungsapparats Quartier 21 oder der Problematik von sich institutionalisierenden, ortsbezogenen Kunstereignissen wie "Soho in Ottakring" .

Den bei der Übertragung der Ansätze in den Ausstellungsraum entstehenden Leerstellen stellte sich Biemann durch die Zusammenstellung von Veranstaltungsprogramm und Katalogbeiträgen, bei "Inscribing the Temporal" waren es das in der Ausstellung zugängliche Archiv sowie die aus dem Symposion generierten Texte. Das Archiv, grundsätzlich eine Einrichtung, die Wissen bewahrt und Weltordnungen demonstriert, scheint wie bei anderen ephemeren Kunstformen (Performance, Aktionskunst, temporäre Installation) auch hier klar Puzzlestein einer diskursiven Verortung zu sein. Das Archiv in der Kunsthalle Exnergasse, das Mappen, Videos und CD-Roms sowie Publikationen zu 39 Wiener Initiativen, Kunstprojekten und Publikationen plus Informationen zu den beteiligten New Yorker Initiativen versammelt, wird nach Ende der Ausstellung in der Kunsthalle Exnergasse auf Anfrage weiterhin nutzbar sein. Wie bei einem bibliothekarischen Handapparat stellt sich allerdings die Frage nach Aktualisierung, Verflechtung mit anderen Archiven, insgesamt danach, das Archiv in einem öffentlichen Bewusstsein zu halten.

Die in der Ausstellung präsentierten Dokumentationen und künstlerischen Arbeiten wurden aus fünf laufenden Projekten ausgewählt: "16 Beaver" ist der Name eines von KünstlerInnen getragenen Raums für Präsentationen und Diskussion, der sich in Form eines Konglomerats von Souvenirs, Videotapes, Flyers und Informationsmaterial vorstellte. Aus dem "Brewster Project", einem jährlich in der Stadt Brewster stattfindenden ortsbezogenen Kunstereignis wurden drei Arbeiten für die Wiener Ausstellung adaptiert bzw. neu aufgebaut: Stephen Apicella-Hitchcocks mit Ausschnitten aus dem Soundtrack zu Apocalypse Now unterlegtes Video vom Walk nach Brewster, Mathew Buckinhams Videoinstallation "Reading Public Meaning", Tara Francalossis unberührbares Archiv kategorisierter Fotoansichten ihres Lebensumfelds, Jennifer und Kevin McCoys Vitrinenobjekt "Bandrider Series: Jennifer Lopez", das die für Lopez backstage bereitgestellten Waren offenlegt und Austin Thomas´ "Social Labels" für Vernissagen-Bierflaschen. Das Kunstmagazin "Cabinet" präsentierte sich mit Ausgaben und Editionen, aus der "Tugboat Film and Videoseries", einem Filmprogramm, das regelmäßig an den Quais von New York wasserthematische Screenings und Soundinstallationen zeigt, stammte der Film "dolce e calmo" der FilmemacherInnen-Gruppe AFAME. Kunst als Bildungsoffensive und Public Art im klassischen Sinn zeigte die dokumentarische Installation des "Center for Urban Pedagogy" (CUP), das über Kurse und Veranstaltungen Bewusstsein und Mitbestimmungsmöglichkeiten der New Yorker BürgerInnen für Stadtplanungsprozesse aktivieren will.

Wo aber die Brüche in der Übertragung in den Ausstellungsraum sind, bleibt - wie auch bei "Geografie" - vage. Der Raum wird mit Videos, Papier auf Wand-Arbeiten, Installationen und Dokumentationsmaterial, das die Nähe zum Relikt nicht immer scheut, bespielt, als wäre dadurch eine Brücke zu schlagen. Die alte Frauge "is a special conceptualisation of the position of publikum/audience/recipients part of your project?", die sich im republicart-Fragebogen an die teilnehmenden KünstlerInnen wiederfindet, hat in diesem Fall eine zweifache Bedeutung. Sie scheint bei der Findung eines roten Fadens durch die Spielarten prozessorientierter Kunst wichtig wie auch für die Möglichkeiten, diesen Kunstformen eine Geschichtsschreibung zu geben.


Literatur

Marius Babias, Ware Subjektivität, Eine Theorie Novelle, Verlag Silke Schreiber, München 2002, Kokerei Zollverein Essen
Stella Rollig, Zwischen Agitation und Animation. Aktivismus und Partizipation in der Kunst des 20. Jahrhunderts, in: Stella Rollig/Eva Sturm (Hg.), Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum, Turia + Kant 2002

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